Fremdsprachen: Englisch, Italienisch, Griechisch
Qualifizierte/r Gästeführer/in mit Fortbildungszertifikat
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Jörg-Uwe Meister Fritzlar
Fremdsprachen: Englisch, Italienisch, Griechisch
Profil
Mein Lieblingsort in Fritzlar: Der Graue Turm
Von Weitem ist er schon zu sehen, zusammen mit den Turmspitzen des Domes hebt er sich unter all den Kirchturmspitzen und Wehrtürmen der mittelalterlichen Stadtbefestigung heraus: der Graue Turm. Ein „Highlight“ jeder Stadtführung, gewiss, neben zahlreichen anderen besonderen Orten in Fritzlar. Unter all den Sehenswürdigkeiten der Stadt fühle ich mich dem Grauen Turm besonders verbunden. Wie erhaben, stolz und mächtig er da steht - mit seinen 38,5 Metern der höchste noch erhaltene mittelalterliche Wehrturm in ganz Deutschland. Im Befestigungswerk der Stadt hatte er eine herausragende Bedeutung als zentraler Signalturm. Er diente jedoch auch noch einem anderen Zweck, dem der Unterbringung von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechts- und Ehrverletzern, Gottes- und Landfriedensbrechern, landschädlichen Personen - von Missetätern oder Maleficanten, wie man mit Blick auf das Spätmittelalter und die frühe Neuzeit, von Straftätern oder Straftatverdächtigen wie man mit Blick auf die heutige Zeit sagen würde. Im Grauen Turm befand sich über drei Jahrhunderte, von etwa Mitte des 13. Jahrhunderts bis Mitte des 16. Jahrhunderts ein Verlies und in der Folgezeit ein Gefängnis.
Vermutlich sind es diese „Ingredienzen“, Befestigungswerk, starke Mauern und Gefängnis, die mich mit dem Grauen Turm besonders verbunden fühlen lassen. Ist ja auch kaum verwunderlich für mich als Leiter einer Justizvollzugsanstalt. Aber auch mein Studium der evangelischen Theologie lässt mich diese besondere Verbindung spüren. Denn bei meinen Stadtführungen liegt mir am Herzen, den Gästen nicht nur die Sehenswürdigkeiten zu zeigen und Erläuterungen beispielsweise zur baulichen Struktur sowie zur Zweckbestimmung zu geben, sondern ihnen das Welt- und Menschenbild der damals Lebenden nahe zu bringen, ihnen verständlich zu machen, welche Bedeutung und Sinngebung das vorgestellte Objekt im Leben der Menschen damals hatte, und so auch bewusst zu machen, welchen Wandlungen Welt- und Menschenbilder durch die Epochen hindurch unterworfen sind.
Das Welt- und Menschenbild, das Denken und Handeln der Menschen jener Zeit waren vom Christentum als maßgeblicher Kraft und von der Kirche als Institution geprägt. Das gesamte Leben, so auch das Verständnis von Normverletzung und Bestrafung, aber auch von Erlösung und Heilserlangung verwirklichten sich in einem christlich-religiösen Weltbild. Das irdische Recht war Ausfluss des göttlichen Rechts. So heißt es im Sachsenspiegel, jenem ältesten, zwischen 1224 und 1230 entstandenen Rechtsbuch des deutschen Mittelalters: „Gott ist selbst recht(lich), darum ist ihm das Recht(e) lieb. Wer das Recht verdreht, bricht den Bund mit Gott. Gott selber hat uns gelehrt, dass wir alle Recht sind und das Unrecht uns missfalle.“
Der Missetäter wurde als verabscheuungswürdiger Sünder betrachtet, der die göttliche Ordnung gebrochen, sich statt für das Gute zu entscheiden, auf die Seite des Bösen - verkörpert durch den Satan - gestellt und somit auch die weltliche Ordnung und Gesellschaft als Platz des Kampfes zwischen dem Guten und dem Bösen verletzt hat. Nach damaliger Vorstellung hat er durch seine Unrechtstat Gottes Zorn erregt, sowohl den Gottesfrieden wie auch den Landfrieden gebrochen, und Aufgabe der weltlichen Herrschaft ist, Gottes Zorn zu besänftigen und den Gottes- wie den Landfrieden durch die Aufklärung der Unrechtstat und die Ahndung der Normverletzung wiederherzustellen. Dabei ging es auch um das Seelenheil des Missetäters. Und das Seelenheil erlangte er durch Bekennen und Bereuen der Unrechtstat - wobei nach festgelegten Verfahrensegeln durchaus die Folter angewendet werden durfte, um ein Geständnis zu erlangen - und mit der Absolution durch den Geistlichen, der den Hinzurichtenden stets auf seinem letzten Weg begleitete. Der Missetäter wurde gemäß dem der jeweiligen Unrechtstat zugeordneten Strafmaß verurteilt - sei es eine Ehren-, Leibes- oder Todesstrafe - und leistete Sühne. Durch seine Verurteilung wurde der Zorn Gottes besänftigt und die Menschen vor der Rache Gottes bewahrt. Selbst der wegen abscheulichster Taten zum Tode Verurteilte durfte sich, sofern er sich reuig zeigte und sich dem Urteilsspruch unterwarf, des Beistandes der Kirche sicher sein und auf die Gemeinschaft im Himmel nach dem Jüngsten Gericht hoffen.
Mit Blick auf die Funktion des Grauen Turms als Verlies und Gefängnis sowie das Strafverständnis und die Strafpraxis im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit erscheint mir wichtig, dass wir auf die nach unserem heutigen Verständnis grausame und unmenschliche Bestrafung der Missetäter in dieser Zeit nicht mit dem Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber diesem „finsteren“ Mittelalter herabschauen und die damals Lebenden nicht als primitive und naive Menschen belächeln oder gar als sadistische Menschen verurteilen. Die Menschen damals waren nicht schlechter und nicht besser als wir Menschen heute. Ein wachsamer und selbstkritischer Blick in die Welt um uns herum dürfte uns das schmerzlich vor Augen führen.
Wer weiß schon, wie wir mit unserem heutigen Verständnis von Normverletzung, Bestrafung und Bemühungen um Rechtsfrieden in zweihundert oder gar fünfhundert Jahren beurteilt werden?
Jörg-Uwe Meister
"Nichts ist gewöhnlicher als Historiker, die über wehrlose Menschen früherer Zeiten zu Gericht sitzen und dabei Werte ihrer eigenen Gegenwart als Maßstab gebrauchen."
Norbert Elias (1897-1990), deutsch-britischer Soziologe
Meine Top-Sehenswürdigkeiten
Fritzlar, Dom- und Kaiserstadt, rund 1300 Jahre Stadtgeschichte, immer noch geprägt von der Blütezeit im Mittelalter mit seiner Stadtbefestigung mit Wehr- und Wachtürmen, von den Kirchengebäuden, dem Rathaus und dem Marktplatz mit den prächtigen Fachwerkhäusern. Top-Sehenswürdigkeiten: Dom, Kurie, Rathaus, Marktplatz, gotische Steinhäuser, Hochzeitshaus, Grauer Turm
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