Sagen, Geschichten, Anekdoten: Der Verein der Gästeführer Chemnitz e. V. lädt zur Auftaktveranstaltung ein
„ARBEIT – WOHLSTAND – SCHÖNHEIT“ – diesen Titel haben nicht wir Gästeführer und Gästeführerinnen aus Chemnitz uns ausgedacht, sondern so hat der Maler und Bildhauer Max Klinger sein 13,5 m breites Wandbild, welches er 1918 für den Stadtverordnetensaal des Chemnitzer Neuen Rathauses fertiggestellt hat, bezeichnet. Diese drei Worte können jedoch als Lebensmotto für Chemnitz gesehen werden.
Da wäre zuerst die ARBEIT: Chemnitz gehörte zu den ersten Industriestädten Deutschlands. Bereits im Jahr 1800 nahmen hier die ersten Maschinenspinnereien ihre Arbeit auf. Beide Standorte sind heute noch als Industriedenkmale erhalten und werden – wenn auch unterschiedlich – nachgenutzt. Es wurde aber nicht nur gesponnen, sondern auch gewebt, gefärbt, gewirkt, gestrickt, Kattune bedruckt und vieles mehr und findige Chemnitzer Unternehmer entwickelten Maschinen, um diese Verfahren zu mechanisieren. Der allgemeine und der Werkzeugmaschinenbau waren geboren und trugen neben der Textilindustrie zu einem rasanten Aufschwung der Stadt bei. Trotz großer Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg sind heute noch viele alte Fabrikgebäude erhalten geblieben, eine große Anzahl inzwischen denkmalschutzgerecht saniert. In ihnen wird heute gewohnt, gefeiert, Theater gespielt und museal die Chemnitzer Industriegeschichte erlebbar gemacht oder einfach wieder gearbeitet. Überhaupt ARBEIT: Der Satz, dass „in Chemnitz gearbeitet, in Leipzig gehandelt und in Dresden geprasst wird“, hält sich im Volksmund hartnäckig und das über mehrere Gesellschaftsordnungen. Klingt inzwischen etwas abgenutzt, gehört aber passend zum Motto des nächsten Weltgästeführertages ins Reich der Anekdoten.
Wie in Max Klingers Bild dargestellt, ist die Arbeit das Fundament für WOHLSTAND. Dass in Chemnitz Wohlstand erwachsen ist, zeigt sich schon daran, dass die Stadt in der Lage war, kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert ein großes neues Rathaus zu bauen (neben Opernhaus, Museum und weiteren repräsentativen Bauten) aber auch, dass Chemnitzer Unternehmer wohlhabend genug waren, wertvolle Ausstattungen für diese öffentlichen Einrichtungen zu finanzieren, so wie zum Beispiel Max Klingers Gemälde vom Textilunternehmer Hermann Vogel gestiftet wurde. Knapp einhundert Jahre später (2013) konnte der kleine Ratssaal des Neuen Rathauses mit Neo Rauchs „Die Abwägung“ passend ergänzt und geschmückt werden – ebenfalls großzügig von Unternehmern unterstützt.
Der Wohlstand der Chemnitzer Unternehmer schlug sich in einer großartigen Kunstsammlung nieder, welche die Basis unserer heutigen „Kunstsammlungen Chemnitz“ bildet und die Stadt Chemnitz bietet – neben einigen privaten Spielstätten – auch heute noch ein Fünf-Sparten-Theater mit Oper, Schauspiel, Ballett, Puppenbühne und Sinfonieorchester.
Einstiger und heutiger Wohlstand ist an so mancher Unternehmer-Villa noch immer ersichtlich.
Besonders beispielhaft steht der Kaßberg für WOHLSTAND und SCHÖNHEIT in Chemnitz. Mit der zunehmenden Industrialisierung begann ab Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts die Erschließung und Bebauung des ca. 2 km² großen Areals. Der exklusive Standort lag westlich des Stadtzentrums im Frischluft-Einzugsbereich - und gleichzeitig hoch genug über der Stadt mit ihren hunderten rauchenden Fabrikschornsteinen. In diesem neuen Stadtteil haben sich daher vornehmlich Unternehmer, Beamte, Geschäftsleute, Ärzte und Anwälte sowie viele Künstler und Intellektuelle niedergelassen.
Von der freistehenden Villa mit großem Garten über namhafte Doppelhäuser bis hin zu den geschlossenen Wohnkarrees in der Mitte des Kaßbergs zeigen sich die stattlichen Fassaden dieser Gebäude. Sie sprühen förmlich vor Individualität und konkurrieren miteinander. Damals wie heute sind diese Straßenzüge lieblich anzusehen: facettenreich und vielfältig, hochwertig in ihrer handwerklichen Ausführung und dank Denkmalschutz auch weitgehend originalgetreu wieder hergestellt. Das geschlossene Stadtbild wird ergänzt durch grüne Plätze, Baumalleen und Vorgärten.
Damals wie heute ist der Kaßberg eines unserer beliebtesten Wohngebiete. Obwohl Autoverkehr und fehlende Parkplätze oft eine Herausforderung darstellen, zieht es v. a. wieder junge Leute, junge Familien mit Kindern hierher. Die funktionierende Gemeinschaft ist spürbar, das ausgeflippte Café neben der gutbürgerlichen Speisegaststätte, die Weinstube neben der altbewährten Bierkneipe, all dies gibt es noch, und wird getragen von der Vielfalt ihrer Bewohner. So haben sich schöne Feste im Kietz etabliert, wie etwa der „100 Meter Sommer auf dem Kaßberg“ oder der „100 Meter Weihnachtsmarkt“. Und zumindest dabei bleiben schon mal alle Autos außen vor, dann gehört die Straße den Besuchern, den Gästen klein und groß mit ihren allerlei bunten Darbietungen, vom Flötenspiel bis zur Jazzband. Und das macht es doch aus, Gemeinschaft, in WOHLSTAND und SCHÖNHEIT.
Doch nicht nur die Entwicklung von Chemnitz von einer kleinen mittelalterlichen Stadt zu einer stolzen Industriestadt ist legendär und sagenhaft. Es ranken sich auch viele „Sagen, Geschichten, Anekdoten“ rund um Chemnitz und ihre Menschen. Ganz im Sinne dieses Mottos möchten wir unseren Beitrag zum Weltgästeführertag 2023 gestalten.
Im Oktober 2022 besteht der Verein der Gästeführer Chemnitz e.V. 20 Jahre. Seit 2004 beteiligen wir uns regelmäßig mit neuen Ideen am Weltgästeführertag. Dabei sind unzählige Rundgänge entstanden, die inzwischen auch zum festen Repertoire geworden sind. Im Jahr 2023 kommen fünf weitere Angebote hinzu.
Wir beginnen im Zentrum der Stadt und hören Anekdoten und Geschichten zu Hans Carl von Carlowitz, der als Begründer des Nachhaltigkeitsgedankens gilt. Er wurde nicht nur im heutigen Chemnitzer Stadtteil Rabenstein geboren sondern auch 2020 Namensgeber eines Kongresszentrums im Herzen der Stadt. In diesem ist der Begriff der Nachhaltigkeit weit mehr als nur eine ökologische Komponente.
Auch am zentrumsnahen Schlossberg gibt es viele kleine Anekdoten und Sagen, die auch heute noch sehr lebendig bei den Chemnitzern sind. Während einer Kostümführung werden diese mit großem Vergnügen auf ihren Wahrheitsgehalt unter die Lupe genommen.
Ebersdorf ist ein eher dörflich geprägter Stadtteil am Rande der Stadt. Und natürlich kann man sich fragen, wieso gerade dort eine versteinerte Zitrone, der Raub von Prinzen und ein Goldschiffchen eine so große Rolle spielen. Wenn Sie mit uns am 18.02.2023 zur Stiftskirche Ebersdorf kommen, lösen wir das Rätsel.
Kennen Sie das auch, Sie graben im Garten, weil ein neues Häuschen entstehen soll und plötzlich finden Sie etwas, wovon Sie nicht sofort wissen, was das einmal war? Ähnliches ist im Frühjahr 2022 in Chemnitz bei einem großen Grabungsfeld für einen Neubau im Zentrum der Stadt passiert. Inzwischen sind sich mehrere Wissenschaftler sicher, dass hier eine kleine Sensation für Chemnitz gefunden wurde, eine frühe Mikwe. Weitere Untersuchungen laufen und es ist klar, dass die Chemnitzer Geschichte um ein wichtiges Thema ergänzt werden muss, denn das jüdische Leben in Chemnitz ist damit älter, als bisher angenommen. Zum Weltgästeführertag werden wir die neuesten Erkenntnisse dazu vorstellen können.
Höhepunkt unseres Eröffnungstages wird am späten Nachmittag die Veranstaltung rund um Schloss und Burg Rabenstein. Heute ist die Burg als kleinste Burg in Sachsen bekannt. Es ranken sich besonders viele Sagen und Legenden um diesen Stadtteil. Sie drehen sich um seinen Namen, um die Entstehung von Burg und Schloss und deren sehr unterschiedlichen Besitzer, aber auch um die außerordentlich reizvolle Umgebung von Rabenstein.
Haben Sie Appetit bekommen? Chemnitz ist inzwischen nicht nur die drittgrößte Metropole in Sachsen und hat mehr zu bieten als das Karl-Marx-Monument, Schornsteine und Gebäude der Ost-Moderne. Wir sehen die Vergangenheit, wir sehen die Gegenwart, aber auch die Zukunft unserer vielfach „ungesehenen“ Stadt. „C the Unseen“ ist das Motto, das Chemnitz, wenn es 2025 Kulturhauptstadt Europas ist, leben wird. Unsere Angebote zum Weltgästeführertag 2023 sind nur ein kleiner Ausblick auf die vielfältigen Angebote von uns Stadtführerinnen und Stadtführern und allen anderen Protagonisten im Rahmen der Kulturhauptstadt 2025 und auf dem Weg dahin. Lassen Sie sich überraschen von Chemnitz, seiner Arbeit, seinem Wohlstand und seiner Schönheit. Vielleicht haben Sie ja jetzt Lust auf mehr?!
Ramona Wagner, Martina Wutzler und Karin Meisel für den Verein der Gästeführer Chemnitz e.V. (VGC)